(DE) IN VERTEIDIGUNG DER GÄRTEN - Stepehen Gene

Vorspann:

2010 haben die prinzessinnengärten das Hebbel am Ufer eingerichtet in Rahmen einer Veranstaltung ZELLEN, life-science/urban farming. Der Einleitungstext von Stefanie Wenner diskutierte den Zusammenhang von Biopolitik und Postfordismus. b_books war eingeladen, eine montagsPRAXIS – also die sonst in b_books stattfindenden Veranstaltungen – ins HAU zu verlagern. Die Veranstaltung mit Beiträgen von Christoph Schäfer und mir hatten den Titel
„IN VERTEIDIGUNG DER GÄRTEN Blumen, politische Gemeinschaften und romantische Fragmente einer Postgründerzeit.

Ein Gespräch über Nutzungsweisen der Stadt, Brachen, Blumen und Sofas, die auf der Straße bewohnt werden* (den gesamten Ankündigungstext der mP siehe unten)“





Hier mein Beitrag:

Wir sind eingeladen worden etwas beizutragen zu ZELLEN, life-science/urban farming. Und das eben als montagsPRAXIS, also als gemeinschaftliche Veranstaltungsform.  Meine persönliche Reaktion war aber eher theoretischer Art: für mich ist der umstrittene Begriff von Biopolitik schon lange ein Thema und die Verbindung von Biopolitik, Biologie und Wissenschaft reizt mich eher zum Widersprechen. Und obwohl wir uns dafür entschieden haben, heute abend bei Fragen der Praxis zu bleiben, kommt das Thema dennoch immer wieder durch. Beim Praktischen zu bleiben hat schon den Grund, dass die Prinzessinnengärten hier so sichtbar eine Tätigkeit in ein Bild verwandeln und in diesem Prozess angeeigneten öffentlichen Raum thematisieren und -- Gemeinschaft. Und dieses Thema hat bei uns – um hier mit b_books schon mal ein umstrittenes WIR einzuführen – viele Diskussionen ausgelöst. Und außerdem waren ja auch wir gefragt, unsere Praxis einfach ins HAU umzuleiten und mit Christoph Schäfer wollten wir zu seinem Buch ohnehin eine Veranstaltung machen : sein Buch Die Stadt ist unsere Fabrik hat eben genau all das zum Thema.

Wir haben unsere Veranstaltung in unserem Ankündigungstext eher ornamental eingeführt:
IN VERTEIDIGUNG DER GÄRTEN Blumen, politische Gemeinschaften und romantische Fragmente einer Postgründerzeit.

Ein Gespräch über Nutzungsweisen der Stadt, Brachen, Blumen und Sofas, die auf der Straße bewohnt
werden

Warum Postgründerzeit? Um es vorneweg kurz zu sagen: weil die Sofas, die im Sommer in Kreuzkölln auf die Strasse gestellt werden, um darauf den halben Tag verbringen zu können, eben nicht mehr gleich zum Geschäftsmodell werden oder als Kunstinstallation durchgehen, wie vielleicht in den Nullerjahren, selbst wenn das in den angesagten und medialisierten Stadtteilen stattfindet und allem Gerede über die sog. 'kreative Klasse' zum Trotz. Es ist nur deshalb so viel von dieser sogenannten Klasse die Rede, weil sie verschwindet, wir werden – nochmal ein 'wir' -- keine neue Mittelschicht mehr.

Das vorneweg: bevor Christoph vorstellt, was er unter 'unserer Fabrik' versteht und dabei eine bestimmte Geschichte des Sich-zur-Wehr-Setzens und eigener Räume in Hamburg anspricht, möchte ich – um die Diskussion auch mit Berlin verbinden zu können – kurz von dem Ort hier sprechen – also HAU und prinzessinnengärten – und das auf meine Beobachtungen zu Kreuzkölln ausweiten und die Weise, wie ich angefangen habe, mich in einem Projekt damit zu beschäftigen.

Am HAU haben sich oft Diskussionen entzündet, inwieweit es das Paradebeispiel ist für unmögliche Arbeits- oder Lebensbedingungen von Kulturproduktion. Einfach weil das HAU mit seinem fehlenden Budget kein Arbeitgeber ist, sondern eher ein Bezahlte-Arbeit-Verunmöglicher.  Aber eben deshalb ist auch so vieles im HAU möglich. Ein vergleichbarer Zündstoff scheinen die Prinzessinengärten heute zu sein, wie die Berichterstattungslawine zeigt. Wobei HAU und prinzessinnengärten für mich sich auf sehr interessante Weise unterscheiden:
  • beide Strukturen sind offen für Eigeninitiative, aber als Theater ist das HAU (noch) ganz klar auf Repräsentation ausgerichtet, auf Vorstellung oder ein Produkt. Das Soziale ist ein zwar wichtiges, aber nicht unbedingt primäres Mittel für die Produktion und auf jeden Fall kann es nicht zum Ziel oder Selbstzweck werden.
Und demgegenüber stehen die Prinzessinengärten
  • für einen Ort, in dem die Eigeninitiative ähnlich wichtig ist, in dem Soziales aber – wenn da die Pflanzen selber einzuschließen sind – als Ausgangspunkt dient (Mittel), jedoch ebenso als Ziel. Repräsentation wird idealiter nicht erzeugt und Produkt nur in einem sehr materiellen Sinne des Wortes: zum Essen. Dieser Garten kennt eigentlich keine Zuschauer.
Repräsentation oder Produkt klingt hier etwas hohl. Aber das was hier einmal gegeben und einmal nicht gegeben ist oder sein soll, ist etwas ganz konkretes und praktisches: im HAU finden Theater-Premieren statt oder Vorträge und diverse Performances, dabei steht für die Beteiligten sehr unterschiedliches auf dem Spiel, im Endeffekt sie selber. Je weiter sie beim Schlussapplaus vorne stehen, desto mehr. Das hat Auswirkungen auf ihren Platz innerhalb Machtstrukturen und auf das Maß, sich in diesem Raum frei, mittelfrei oder praktikumsmässig unfrei bewegen zu können.

Öffentlich gemachter Selbstzweck, Gemeinschaftsraum aneignen und einen Anspruch darauf formulieren und dabei sozialen – unbezahlten? -- Einsatz vorauszusetzen, das ruft ganz viele Themen auf, die dann doch wieder sehr politisch sind und die die politischen Voraussetzungen der eigenen und der gemeinschaftlichen Lebensführung betreffen. Es benötigt Gemeinschaft, reibt sich mit der Notwendigkeit zu arbeiten oder setzt die Unmöglichkeit, Arbeit zu finden voraus. Und dehnt sich aus auf die Bewertung von Tätigkeit und Zeit und die Unbezahlbarkeit des Gemeinsamen, der commons, wie sie in der Internetökonomie heißen etc.

Schon in Stefanie Wenners Einleitungssext schreibt sie, dass „nun die Bildung des Selbst nicht nur sozial gefragt, sondern auch auf der materiellen Ebene, körperlich“ gefragt sei. Sie setzt damit das metaphorische Eigenblutdoping – die Selbstbildung -- voraus und addiert nun die körperliche. Ob die Reihenfolge stimmt, sei mal dahin gestellt, es hat vielleicht mehr damit zu tun, dass Selbstausbeutung als Ausbeutung aller sozialen Eigenschaften schon lange Thema gerade in solchen Selbstanschubsläden ist wie dem HAU, die Fitness-Frage aber eher individuell geblieben ist. Die Prinzessinnengärten kommen dann bei ihr auch weniger vor als Biofabrik, Selbstversorgung oder guerilla gardening, sondern in den Aspekten des gemeinsamen Betreibens, Pflanzen, Erntens oder wie das auch bei Stefanie heißt: „“Im HAU1 können wir gemeinsam arbeiten, nachdenken, essen“. Das ist eine hier antizipierte Praxis, aber auch eine die im Prinzessinnengarten stattgefunden hat und darin eben auch ein Bild, ein Bild einer selbstgenügsamen Tätigkeit im Garten -- eben im gemeinschaftlichen Garten -- eine Projektion und eine Praxis, die hier im HAU sicher anders stattfindet als am Moritzplatz.

Wenn dieses Bild Anlass für Diskussionen z.B. bei b_books ist, dann aus dem Streit heraus, was es denn genau mit so einem Sozialgarten auf sich hat und ob auch b_books einer ist. Aber wie kommt man da weiter, wie kommt man noch dazwischen zwischen Tätigkeit und seinem Bild, nicht nur hier im Theater eines Gartens, sondern auch an einem anderen Ort, in dem sich auch b_books befindet und der im Sommer durchaus Züge einer urban-bewohnten Straßenbrache hat und Kreuzberg und Neukölln miteinander verbindet.

Man muss da durchaus seine eigenen Mechanismen befragen: es war mal gut, jetzt ist es vereinnahmt, jetzt ist es Mode, jetzt ist es Gentrifizierung. Diese Figur ist uns aus den 90er Jahren nur allzu bekannt, immer dieses dagegen-dabei. Es ist eine Scheinaufteilung, denn sie macht eigentlich nur Sinn, wenn man sich auf einen politischen Prozess beziehen kann, ein Vorwärts in der Bewegung oder der Destabilsierung der gesellschaftlichen Verhältnisse oder der eigenen Fähigkeit, Kritik zu üben. Aber diese Referenz steht sehr in Frage. Das tat sie auch schon Mitte der 90er, aber es gab einen Rahmen, der sie als hypothetische Investition ermöglichte: solange wir uns in eine Richtung bewegen, bewegt sich ja etwas. Und die Landschaft verändert sich am schnellsten, wenn man sich selber bewegt.

Die Diskussionen in den 90er Jahren sind für viele, die vergleichbar arbeiten, ganz entscheidende Diskussionen gewesen, ich denke auch für Christoph oder Projekte wie Park Fiction.

Innenstadtaktionstage 1997 waren ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen, mit dem Ziel ein Reclaim the street eher spielerisch zu behaupten. Es ging um eine Politisierung der Stadt, einen politischen Urbanismus, der auch damals nicht erfunden wurde, aber zum verbindenden Thema und Aktionsform von vielen Gruppen, die jetzt vielleicht überhaupt zum ersten Mal aus Künstlergruppen und politischem Aktivismus zusammenkamen.

Diese Politisierung war spielerisch und hatte dennoch zumindest imaginär eine klare Feindstellung. Sie richtete sich gegen Shopping-Mall/Investorlogik, Kapital könnte man auch sagen, die als verantwortlich erachtet wurde für die Herstellung aseptischer, ASOZIALER Räume. Transparente Glaswelten, die genau darin so scharf wirkende Ausschlussschleusen hatten. Damit man sich – wie Christoph das in Stadt ist unsere Fabrik beschreibt -- durch einen coffee2go an solchen Orten wieder aufgehoben fühlen kann, dafür muss man sich erstmal verloren fühlen am Potsdamer Platz – fehl am Platz -- oder wo auch immer. Es gab also einen adressierbaren Gegner, das Finanzkapital mit den städtischen Stadtplanern, ein Gegner, der natürlich kaum zu adressieren ist – aber vielleicht hielt man Kunst für ein Mittel, ihn zu adressieren --, geschweige denn, dass er zu schlagen wäre. Das war die eine Seite und sie unterscheidet sich sehr von gegenwärtigen Ansätzen -- (von anderen wie MediaSpree aber auch wieder nicht). Eine andere wichtige Figur von damals schreibt sich jedoch vollständig fort oder ist in so etwas wie Prinzessinengärten komplett entwickelt: es ging nämlich darum, sich von alten Politikkonzepten abzusetzen, solchen, die eher einem soldatischen Verständnis des Politischen folgten. Kein Verzicht. Kein Verzicht auf Genuss, oder auch auf Konsum. Aber auch nicht auf die eigene individuelle Produktion oder Produktivität. Es galt Dogmatismus etwas entgegen zu setzen und die erfolgreichste Überwindung bestand wohl in Politik als Party. Das war ja nicht nur ein Witz, sondern hat eine ganz grundlegende Dimension, nämlich die Art, wie man sich auf eine politische Forderung beziehen kann, wie 'todernst' man das meinen kann und es stellt einen Anspruch auf das eigene Leben.

Aber was hat es mit diesem Anspruch auf sich bzw. mit dessen Realisierungsformen? Alles scheint einfach, wenn die Wünsche sich selber dissident geben, wenn sie Dinge wollen, die andere Dinge -- die herrschenden Dinge -- stören, wenn die Wünsche auf die Straße gehen. Aber tun sie das?  Wie lange will man wirklich draußen bleiben, zusammen bleiben, nicht nach Hause gehen? Wie lange hält man sich und die anderen aus?

Und Drogen und Party sind darin so ein Zwischenspeicher, denn wenn auch damals niemand wirklich daran glauben konnte, dass der Rave die Gesellschaft stört, so steht er doch für Nicht-Arbeit, Gesellschaftsunterbrechung, Verausgabung.

Für mich selber gab es damals eine starke Verbindung zwischen verschiedenen Personen, die sich einig waren darüber, Politik nicht als Verzicht zu begreifen, auf das eigene Leben zu pochen und es dennoch nicht unter moralische Imperative zu stellen, welcher Wunsch nun dissidenter sei als ein anderer. Aus meiner Sicht war das ein notwendiger Prozess (ich wüsste nicht, wie das damals anders zu denken gewesen wäre, insofern sehe ich darin eine gemeinschaftliche Erfahrung). Aber es erweist sich als paradox, das eigene Leben als Projekt vor sich zu haben – und deshalb neigen auch alle dazu, das umzudrehen und ihr Leben mit Haut, Haar und engem Zeitplan dem eigenen Projekt unterzuordnen.
Diese Schwierigkeiten machen wahrscheinlich sehr anfällig für so merkwürdige Exerzitien, wie sie Giorgio Agamben z.B in Die kommende Gemeinschaft betreibt. Das Politische kenne eben keinen anderen Inhalt mehr als das Leben selber – so wie es ist. Und das gilt eben keineswegs nur in die eine Richtung: die Politik will uns dazu bringen, zu konsumieren, uns zu bilden, werthafte Einheimische und Zugereiste zu sein, das ist die einfache Seite, der Herrschaftsdruck, dem man sich zu entziehen sucht, in dem man Bartleby wird. Er spricht ganz paradox davon, dass

Die Annahme, dass jede Demo, jede Besetzung, jeder Streik, jeder Rave ein Vorschein ist einer anderen Welt, die sich eben darin ausschnitthaft als möglich erweist, was für eine Annahme ist oder war das? War es nicht vielmehr immer ein Zeigen, dass die bereits existierende Welt möglich ist, dass sie der Fall ist, dass sie sich ereignet? Ich versuche es nicht zu begreifen als pietistische Bescheidung in die Verhältnisse, sondern als eine Störung jeder Form von politischer Gemeinschaftsbildung oder dessen Fantasien. Und eine Gewichtung: wir sind in die Gegebenheit verstrickt.



gap2go, oder: UMSONST
Habe ich alle diese Fragen im Kopf gehabt, während ich schon einige Jahre und die letzten zwei Sommer sehr bewusst die Entwicklungen beobachtet habe, die um mich herum passiert sind? Ganz buchstäblich um mich herum, denn ich wohne ein paar Schritte vom Kanal entfernt, also am Übergang von Kreuzberg und Neukölln. Angefangen hat die Beobachtung vielleicht bei der Admiralsbrücke, eine breite Brücke mit Gehweg und Verkehrs-Insel, die zunehmend als Treffpunkt verwendet wird. 2 Jahre lang bin ich dort fast täglich vorbeigekommen. Im Sommer treffen sich viele Leute dort, sehr unterschiedliche und dennoch stellt sich mir das Gefühl eines bestimmten Milieus ein, oder einer Art Haltung. Alle sitzen jedenfalls auf der Straße und den Poldern, Getränke werden mitgebracht. Es kommen viele verschiedene Sprachen vor, Schwerpunkt Westeuropa. Bleiben wir mal dabei, auch weil es genau diese Brücke war, die schon im Sommer 2009 in alle Medien ging und den Senat dazu brachte, diese Partying, mit dem die Nachbarn Probleme hatten, nicht, wie von vielen Seiten gefordert, zu verbieten, sondern Mediatoren zu installieren, die anfallende Konflikte lösen sollen. Aber es ist kein Rave, sondern nur ein friedliches Rumsitzen, reden, wenn Musik, dann eher Singer-Songwriter, also Lieder.

Für mich war die Brücke ein Bild, dessen genaue Eigenschaften schwer zu benennen sind, benennt man es, wird es dann schnell falsch. Allerdings man muss nur nach Mitte gehen und sieht sofort, dass es Ansammlungen junger Menschen auch ganz anders aussehen können. Vielleicht geht es um ein Bild von Zeit-Haben und sehr geringen Kosten verursachen. Konsumunwillig. Ich fand es aber auch sehr wenig arty, sehr wenig auf Produktion, nicht mal auf life-style bezogen. Aber das Phänomen bewegt sich, andere Brücken kommen dazu, immer weitere Teile von Neukölln werden einbezogen. Betrachtet man  die Kneipen, Veranstaltungen, Straßenzeitungen, dann lässt sich eine ausfransendes, dezentrales, unorganisiertes, meist nicht politisch ausgedrücktes Umgehen der gängigen Stadtnutzung, ein Ausser-kraft-Setzen der Straßenverkehrsordnung und das Wohnzimmer-auf-die-Straße-Llegen und den öffentlichen Raum ANDERS zu nutzen – inklusive einer Veränderung in der Gemeinschaftsbedingung dieses temporären Wohnraums.

Aber was bringt es, dass ich darauf etwas projiziere, was mich offensichtlich beschäftigt? Was genau suche ich darin? Nein, ich suche es gar nicht, ich hab ja, wie alle, selber gar keine Zeit. Aber es interessiert mich und das sogar sehr und ich habe das Gefühl, die Gründe nicht wirklich zu kennen. Für mich ist das Projekt der Versuch, gerade nicht nur das zu finden, was ich eigentlich voraussetze, sondern gemeinsam mit anderen an einer Frage zu basteln, auf die geantwortet werden kann, durch Schweigen, durch Verständnislosigkeit, durch die Verhältnisse, durch die Entwicklung, durch Zufall. Ich sammele auf einer Webseite, verbinde sie mit anderen Infostellen und möchte daraus und parallel zur Seite einen Film entwickeln, der sich mit folgenden Figuren beschäftigt
* 20 jährige, die in diesem Bezirk leben und die Besucher/innen
* in diesen Internationalismus ist türkischer Hintergrund nie eingeschlossen
* warum sind die Stile so retro, exisitiert Generationenspannung nicht?
* welche Halbwertzeit hat diese Tendenz zum geldfreien Tausch von Zeit und Aufmerksamkeit, die Verwertungsskepsis?

aber ich will nicht fotografieren oder filmen um irgendetwas damit zu belegen. Ich könnte es gar nicht vorführen, aber wollte es auch nicht. Deshalb will ich meine Sichtweise hier auch nicht durch Beweismittel untermauern. Ich schließe mit einer Diskussion, die woanders geführt wurde, aber auch sehr geschickt umgeht mit Zuschreibungen. Die Kneipe Freies Neukölln in der Weserstrasse hat einen kleinen Internet-Fernsehsender. Darin haben sie kürzlich einen Video veröffentlicht: On our own account, in eigener Sache.  Die Berliner Zeitung hat den Film sehr wörtlich genommen und wirft den Kneipenbetreibern Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung vor. Wie unglaublich, man sehe sich das Video an, in dem in soffisanter Stimme Bilder von leeren Kreuzköllner Straßen zu sehen sind und voller Ironie vom Überfall durch Touristen gesprochen wird. Welche humorlose Verkennung!

Nachtrag: die Webseite mit der Sammlung unter www.bbooks.de/gap2go
die Webseite für den Film, der zum Zeitpunkt der Phylogenesis-Ausstellung in der Endfertigung ist und den Titel trägt „umsonst“: www.bbooks.de/umsonst




Einladungstext
b_books donnerstagsPRAXIS bei ZELLEN im HAU 1:

IN VERTEIDIGUNG DER GÄRTEN
Blumen, politische Gemeinschaften und romantische Fragmente einer Postgründerzeit
Ein Gespräch über Nutzungsweisen der Stadt, Brachen, Blumen und Sofas, die auf der Straße bewohnt werden -- anhand von Projekten wie gap2go (kreuzkölln) und Christoph Schäfers Buch "Die Stadt ist unsere Fabrik"
Mit Christoph Schäfer (Hamburg) und b_books

18.11.2010 20 Uhr
EINTRITT FREI
im Rahmen von ZELLEN im
HAU 1, Stresemannstr. 29 / 10963 Berlin
www.bbooks.de/gap2go

Bars und Kneipen geben sich heute gerne als Brachen aus, Bierkästen und gefundene Bretter als Theke. Handelt es sich um eine billige Art, einen Raum herzustellen, der ein Mindestmaß an dissidentem Aufenthalt ermöglicht oder ist es eben der Ramsch-Chic, den man heute so hat? Und ist in diesem Sinne der Kneipen-Garten, in dem man erntend zusammenkommt, doch etwa der Schrebergarten des Alternativbürgertums, das seine empfindsame Lebensform verteidigt?

Wahrscheinlich ist es zuerst einmal die falsche Frage, nur ist sie mangels einer besseren immer noch ein Platzhalter, nicht allen Müll zu schlucken. Lässt sich an Brachen, Gärten, Theken so etwas wie ein Fieber/Lebens-Thermometer halten, um festzustellen, ob im Rahmen dieser Improvisationen Interventionen möglich sind oder nur die gleiche Erkaltungsfolge sich einstellt wie in jeder x-beliebigen ökonomischen Unternehmung?  Christoph Schäfer begreift seinen Slogan Die Stadt ist unsere Fabrik als im vollen Sinne doppeldeutig: die entwickelten Projekte, Gesten, Orte, Szenen, Lebensstile sind eine Produktionsform, die von den neoliberalen Verhältnissen aufgezwungen wird und die sich daher gerade nicht von anderen Verwertungsformen unterscheidet. Und andererseits ist es tatsächlich die eigene Arbeit, die von diesen Räumen ermöglicht wird. Billige Lebensstandards sind darin genau die Voraussetzung, um weiter zu arbeiten. In Verteidigung der Gärten nimmt von dieser altbekannten Ambivalenz schöpferischer Prekarität ihren Ausgang und misst die Temperatur der immer flexibler werdenden Integration.

Und die verpflanzte, kultivierte Brache, der in das HAU gehobene oder abgesenkte Prinzessinnengarten, welches Unkraut wird da umgedeutet?