(DE) Die Phylogenese der Freigiebigkeit


„Office of Aesthetic Occupation“ und „Helena Producciones“ haben sich zusammengetan, um ein außergewöhnliches Experiment zu wagen. 27 internationale Künstlerinnen und Künstler sind eingeladen, um sich unter freiem Himmel mit dem unterschiedlichen Formen der Großzügigkeit im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Ort für dieses Intervention ist der Prinzessinnengarten in Berlin Kreuzberg, ein sozial engagierten urbaner Garten. Eine Woche lang wird der Prinzessinnengarten zu einem Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst im Freien. Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler werden sich in ihren Arbeiten unterschiedlicher Medien bedienen: 1. Skulptur, Installation und Malerei, 2. Performance-Kunst (Musik, Poesie, Gesprochenes Wort, Film und Kochen) und 3. Sozial engagierte Praktiken.

Die Ausstellung untersucht die vielfältigen Formen der Freigiebigkeit. Sie geht ihren zeitgenössischen Ausprägungen nach, insbesondere den Formen, in denen sie sich in Berlin finden läßt. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler untersuchen die Vielfalt der Freigiebigkeit entlang von zwei Fragestellungen:

Erstens, die Stadt Berlin bot in der Vergangenheit ein bezahlbares und einladendes Umfeld für KünstlerInnen aus der ganzen Welt. Wie im Paris der 1920er Jahre oder in New York in den 1960er und 1970er Jahren, hatten diese günstigen Bedingungen einen wichtigen Einfluß auf die künstlerische Produktion. Sie halfen dabei, Berlin zu der wichtigsten Stadt für zeitgenössische Kunst in Europa werden zu lassen. Die hohe Dichte, die durch diese günstigen Voraussetzungen geschaffen wurde, bot ein fruchtbares Umfeld für den Austausch neuer Ideen innerhalb der künstlerischen Produktion. Gegenwärtig aber ist diese Form der Freigebigkeit bedroht! Unter dem Druck von politischen Interessengruppen und Immobilienspekulation steigen die Lebenshaltungskosten. Dies hat noch schwer abzuschätzenden Auswirkungen auch für die Gemeinschaft von Kunstschaffenden. Ein Beispiel für diese Situation ist der Prinzessinnengarten, der sich noch unlängst einer ungewissen Zukunft ausgesetzt sah und jetzt in einem Akt der Großzügigkeit diese Ausstellung ermöglicht.

Beim zweiten Thema geht es um die Freigiebigkeit der künstlerischen Arbeit. Kann man bei der künstlerische Produktion mit ihrer Erfindung von Formen und Prozessen von einer Phylogenese sprechen, von einer Nachahmung natürlicher Prozesse? Bringt sie damit ein Modell dafür hervor, wie Formen sich im Laufe der Geschichte wandeln und wie neue Morphologien und Formen der Freigiebigkeit generiert werden? Solche künstlerische Freigiebigkeit kann im Gegensatz stehen zu den Bedingungen einer am Markt orientierten Kunst. In letzteren Fall entsteht das Kunstwerk nicht in einem Akt der Freigebigkeit, sondern statt dessen in einem kontrollierten System der Kennerschaft und der spekulativen Preisfestsetzung. Künstlerische Freigiebigkeit wird damit heute zu einer bedrohten Praxis. Wir wollen Interventionen initiieren, die den Vorrang der Freigebigkeit als politische Form eines fruchtbaren Widerstandes wieder herstellen. 

Die künstlerische Arbeit als solche bringt eine vielfältige Sammlung von Objekten, Formen und Beziehungen hervor, die durch Prozesse der Bewertung zum Bestandteil unsere jeweiligen persönlichen Erinnerungen werden. Insofern auf solche Erinnerungen bei der Konstruktion von Gedanken zurückgegriffen wird, hat die freigiebige künstlerische Produktion auch Auswirkungen auf ein politisch gefärbtes Nachdenken und auf unsere Vorstellungskraft.

Eine begleitende Zeitung wurde für die Ausstellung produziert. In ihr finden sich Beiträge unter anderem von Kimberly Bradley (USA/GE), Philipp Kleinmichel (GE) und Warren Neidich (USA/GE). Chiara Figone, Andres Sandoval und Archive Press betreuen Design und Inhalte.